Impressionen
aus Bad Neustadt a.d.Saale – und die Zeit
danach…
Die
Vorgeschichte
Zuerst sollte es nur eine
Herzkatheder Untersuchung sein… nun, schon schlimm
genug, wenn man sich so vorstellt, dass da ein Kabel
durch den Körper bis zum Herzen geschoben wird.
Aber mein Herzensgatte ist ja einer von den Mutigen
und vor allem einer von den Optimistischen. Das wird
schon alles nicht so schlimm werden… das haben
schließlich schon so viele, die man kennt, überstanden
und die sind alle putzmunter.
Als ich den Anruf bekam, dass
er wieder auf dem Zimmer ist und alles überstanden
hat, da war ich heilfroh und der Meinung, nun ist
schon das Schlimmste überstanden.
Schließlich wird bei so einer Geschichte nicht nur
untersucht, sondern es können auch gleich die
Leitungsbahnen etwas geweitet werden.
Am späten Nachmittag war ich
dann endlich mit Gillian und ihrer Freundin
Katharina bei ihm.
Er hatte noch vorher angerufen und gewünscht, wir
sollen ihm eine Deutschlandkarte mitbringen. Ohne
mir dabei auch nur irgendwas zu denken, hatten wir
die dabei und Gerd gab Gil den Auftrag, doch mal
nachzusehen, wo Bad Neustadt an der Saale zu finden
ist.
Erst so nach und nach kam dann heraus, dass er also
in wenigen Tagen dorthin verlegt werden solle, weil
eine Bypass Operation nötig wäre.
Ich hatte noch gar nicht ganz
realisiert, was jetzt hier abgeht, da kam schon eine
Schwester, die uns deutlich erklärte, dass es sich
hierbei um eine schwierige OP handeln würde, die
sicherlich ca. 8 (in Worten ACHT !) Stunden dauern würde.
… ob ich mir denn dort im Ort ein Zimmer nehmen
wolle und ob sie das schon mal in die Wege leiten
solle.
Bevor ich überhaupt richtig kapiert hatte, was nun
Sache ist, wurde über meinen Zeitplan der nächsten
Wochen bestimmt.
Warum Bad Neustadt? Warum so
weit? In Bad Oeynhausen gibt es doch auch eine
hervorragende Herzklinik.
Bad Neustadt liegt im nördlichen Bayern. (So kommt Gerd ja wenigstens doch noch zu einem Aufenthalt in seinem
geliebten Bayern in diesem Sommer.)
Es stellte sich dann heraus, dass diese Rhön-
Klinik weltweit eine der größten und besten
Herzkliniken ist, und der Chefarzt in Herten wohl
besonders viel von der Klinik hält, - und
wahrscheinlich mit dem Chefarzt schon mal Golf
gespielt hat…
----
„Liebster,
pass gut auf Dich auf, ich brauch Dich doch noch
hier.“
„Da mach Dir mal keine Sorgen, ich kann Euch doch
noch nicht alleine lassen hier. Wenn ich nicht da
bin, wird ja noch nicht mal der Müll richtig
sortiert. Da erstickt Ihr doch in dem ganzen
Zeug.“
Die
Anreise
Schon eine Woche später am
Samstag sollte es losgehen. Das wurde dann noch mal
auf den Montag verschoben, weil es wohl noch kein
freies Zimmer gab.
Es war die Rede davon, dass Gerd so gegen 8 Uhr in
Herten abgeholt werden solle, so dass ich mir
vornahm, ungefähr um die gleiche Zeit zu Hause
loszufahren, damit wir in etwa gleichzeitig an der
Klinik ankämen.
Gegen 12 Uhr, als ich kurz vor
Fulda war, bekam ich einen Anruf von Gerd, dass er
noch immer auf seinem Zimmer in Herten sitzt und auf
den Fahrer wartet.
Das brachte mir natürlich Zeit
und Ruhe in meine Fahrweise. Aber die Vorstellung
der Möglichkeit, dass er vielleicht heute gar nicht
mehr nachkommen würde, weil irgendwas mit der
Krankentransportfirma schief gelaufen wäre, fand
ich natürlich gar nicht angenehm.
Und dabei hatte ich mich gerade
so an den Kleinigkeiten des alltäglichen Geschehens
rundherum erfreut. Dass ich mehrere LKWs der DHL überholte,
war mir ein Zeichen, dass die sicher auf einem
Betriebsausflug wären und stellte mir vor, wie die
ganzen Briefzusteller hinten in den großen
Kastenwagen sitzen würden, um nun gruppendynamisch
in Bayern Weißbier zu trinken.
Und ich versuchte das schöne Wetter zu genießen,
das die umliegende Landschaft in ein leuchtendes
Urlaubsgebiet verwandelte.
Nur ein kleines Hin und Her
fahren kurz hinter Fulda, als ich auf der Bundesstraße
zuerst in die falsche Richtung fuhr, aber dann lief
alles glatt, so dass ich nach 4 Stunden und 15
Minuten reiner Fahrzeit an der Klinik ankam.
Zu dem Zeitpunkt war Gerd grade mal eine Stunde
unterwegs, wie er mir inzwischen mitgeteilt hatte.
(Ein dankendes Hosianna an den Erfinder des Handys!)
Es dauerte noch bis viertel vor
fünf, bis Gerd endlich dort ankam.
Aber in der Zwischenzeit hatte ich mich schon mal in
meinem Gästezimmer eingerichtet.
Die
Klinik
Ein Wahnsinnsgebäude!!!!
Beziehungsweise ein Gebäude-
Komplex. Oben auf dem Berg ragt es von weitem schon
über dem kleinen Ort Bad Neustadt auf.
Parkplätze sind im Prinzip dort Mangelware, aber
ich hatte Glück und fand direkt vor dem
Haupteingang einen Platz.
Die einzelnen Häuser sind um einen riesigen, lang
gezogenen Innenhof gebaut, der wunderschön
gestaltet ist. Dieser ist ganzflächig überdacht
von einem großzügigen Wellendach aus einer
raffinierten Glasdraht- Konstruktion, die den Regen
abhält, aber völlig luftdurchlässig ist, so dass
man sich trotzdem absolut im Freien fühlt.
Es fließt ein kleiner Bach durch das Gelände und
viele Flächen sind mit ständig blühenden Stauden
bepflanzt. Momentan strecken zwischen allen anderen
Pflanzen hunderte von weißen Tulpen ihre Köpfe zur
Sonne.
An den einzelnen Gebäuden gibt
es große Glaskuppeln, unter denen sich Aufenthalts-
und Ruheräume befinden. Überall Pflanzen, Wasser,
Springbrunnen, große weiche Ledersessel und Sofas,
und Pflanzen und immer wieder Pflanzen.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man sich
wie in einem Centerpark fühlen.
AOK
oder Privat ?
Da ich ja ausreichend Zeit
hatte, meldete ich mich schon mal an der Rezeption
der Herzklinik und wurde sogleich freundlichst
empfangen.
„Ja, auf den Herrn Nickel warten wir noch, aber
Sie können gerne die Sachen schon auf sein Zimmer
bringen. Station 9, Schwester Katja weiß
bescheid.“
Na wunderbar!
Ich also rauf mit meinem
Kofferkuli und bei Schwester Katja gemeldet.
Diese begrüßt mich freundlich als die Tochter des
erwarteten Herrn Nickel.
(Dies wird natürlich verständlich, wenn man bedenkt, dass die
Durchschnittspatienten in dieser Klinik ca. 70 Jahre
alt sind.)
Irgendwie empfand ich alles ein
wenig bedrückend und eng dort. Der Fahrstuhl sehr
klein, der Gang sehr eng und das Zimmer, in das sie
mich führte, war auch nicht sehr geräumig.
Man kam zuerst in einen
Vorraum, sozusagen den Aufenthaltsraum, in dem ein
Fernseher stand und ein Tisch für 4 Personen, an
dem gegessen werden konnte. Von diesem Raum ging
eine Tür zu der Toilette und Duschraum und zwei Türen
zu jeweils einem Zwei-Bett- Zimmer. Auch hier
ziemlich eng, aber ausreichend. Mir ging schon durch
den Kopf, dass man es hier äußerst geschickt
eingerichtet hatte, aus einem Vier- Bett Zimmer zwei
Zwei- Bett- Zimmer zu machen.
Es gab auch einen engen Balkon,
auf dem Stühle standen. Wenn man allerdings hier saß
hatte man nur noch die Mauer der Balkonbrüstung im
Blick und den Himmel darüber. Nicht so besonders
schön….
In aller Ruhe räumte ich schon mal den Schrank ein
und bestückte das kleine Waschbecken in dem Schrank
daneben mit Gerds Utensilien. Wobei man nicht zuviel
Platz einnehmen durfte, denn es musste für beide
Patienten in dem Zimmer reichen.
Ich hatte Blumen und eine Vase mitgebracht, die das
Zimmer gleich ein wenig freundlicher aussehen ließ.
Viel später, als Gerd dann
endlich da war, und die restlichen Dinge, die er aus
Herten mitgebracht hatte, auch eingeräumt waren,
kam der Anruf von der Rezeption, bei dem noch nach
einigen Formalitäten gefragt wurde.
„Ach, Sie haben ja eine Zusatzversicherung…. Da
liegen sie ja im völlig falschen Zimmer!“
Alles wieder einpacken… alles
auf eine kleine Stationskarre und Umzug!
Quer durchs Haus in einen ganz
anderen Trakt. Weite, geräumige Eingangshalle, -
mit großen Bronzefiguren geschmückt, - riesige,
farbenfrohe Wandteppiche, - ein großer Aufzug hoch
in den 5 Stock, -
auf einen breiten Flur -
in eine Suite für 2 Personen, die erstmal
nur von Gerd alleine bewohnt wurde. Ein Vorraum mit
Kühlschrank und einer gemütlichen Sitzecke, an der
gegessen werden kann. Das Zimmer selber in warmem, rötlichem
Holz, Parkettboden und ein Nassbereich mit Dusche, 2
Waschbecken und extra Toilettenraum.
Eine großzügige Terrasse gehörte auch noch zu dem
Zimmer. Ca 30 qm für jedes Zimmer, bestückt mit
gemütlichen Stühlen in einer staudenumpflanzten
Umgebung.
Wir waren von der Sozialwohnung in die Königs-
Suite umgezogen.
Frühstück
Mein Frühstück konnte ich in
einem großen Raum gemeinsam mit den anderen Angehörigen
hier liegender Patienten und den Patienten der
Frankenklinik, eine dazugehörende Reha- Klinik,
einnehmen.
Gut gefüllt um diese Tageszeit
bot mir der Raum keinen Einzeltisch mehr, sondern
ich setzte mich am ersten Morgen zu einer einzelnen
älteren Dame, mit der ich nach einer Weile auch ins
Gespräch kam.
Eine seltsame Stimmung herrscht dort ja immer, denn
alle Anwesenden haben dasselbe Thema. Man kommt
sofort in ein Gespräch: Wie geht es Ihrem Mann?
Welche Operation hat er denn gehabt?
Bypass oder Klappe?
Wann war es? Wie lange auf der Wachstation?
Wie verheilt die Wunde?
Bei vielen dieser Fragen konnte ich ja noch nicht
mitreden, bin ja noch ein Neuling in der
Herzoperierten- Angehörigen- Welt.
Ich stellte ja noch so dumme
Fragen, wie: Kann ich am Tag der OP abends noch zu
meinem Mann?
Völlige Entrüstung seitens der älteren Dame: Aber
nein, da müssen Sie ihn doch erstmal in Ruhe lassen,
(dabei wollte ich doch gar nicht sofort zu ihm ins
Bett steigen….)
Also, ihr Ehegatte hätte das auch gar
nicht gewünscht, denn das stört doch nur und er
ist doch direkt nach der OP noch total müde.
Den nächsten Faux Pas machte
ich dann gleich, als ich laut überlegte, ob ich
wohl morgens vor der OP noch zu ihm könnte, um Händchen
zu halten, bis er in den OP geholt würde.
Die gleiche Entrüstung- die gleichen Argumente –
mit dem Zusatz: Man muss ja irgendwann im Leben mal
lernen, dass man die wirklich schwierigen Wege ja
doch alleine gehen muss.
Vor soviel Abgeklärtheit
konnte ich nur noch die Segel streichen, mich
freundlich verabschieden und zu meinem Herzensgatten
eilen, der sich einfach immer tierisch freut,
wenn ich bei ihm bin.
Die
rote Frau
Für eine Zigarettenpause
verlasse ich die Klinik und begebe mich in den
Innenhof. Kaum trete ich aus der Tür sehe ich in
weiter Entfernung eine Frau, die heftig zu mir rüber
winkt.
Meint die mich?
Ich kenne doch hier gar niemanden….
Setze mich auf die nächste Bank und hole meine Lektüre
heraus.
Die Frau, leuchtend in einem roten Jogging Anzug,
kommt näher und spricht zu dem Mann auf der
Nebenbank: „Da habe ich die Frau doch völlig
verwechselt….“ Und nun zu mir: „Ich dachte,
Sie wären jemand anderes, aber das sind Sie ja gar
nicht….“
Sprichts und setzt sich zu mir auf die Bank.
Scheinbar leuchtet mal wieder
auf meiner Stirn ein blinkender Schriftzug:
Erzähl mir, was Dir
auf der Seele liegt. Ich hör Dir zu !
Und sie legt los. In kürzester
Zeit erfahre ich ihre halbe Lebens- und die ganze
Krankheitsgeschichte.
Für mich äußerst interessant ist allerdings die
Information, dass es im Eingangsbereich noch ein
sehr schönes Café gibt, das ich zwar schon gesehen
hatte, aber von dem ich noch nicht wusste, dass man
dort rauchen durfte, was man verständlicherweise
ansonsten im ganzen Haus nicht darf.
Nachdem die rote Frau mir dann alles über ihre
Tanzleidenschaft, ihre Kinder und die Blasmusik erzählt
hatte, war mir klar, dass ich ihr in den nächsten
Tagen immer wieder über den Weg laufen würde.
(…was dann natürlich auch der Fall war.)
Der
Zeitpunkt der OP
Zuerst hieß es ja noch in
Herten: Anreise Samstag – OP Montag.
Dann wurde verschoben: Anreise Montag – OP
Dienstag.
Als wir dann dort waren, hieß es: Untersuchungen
Dienstag – OP Mittwoch.
Und am Dienstagabend kam dann die Nachricht: Die CD,
auf der der Film von der Herzkatheder Untersuchung
drauf war, ist noch nicht hier in der Klinik
angekommen. Darauf muss natürlich gewartet werden,
also OP erst am Donnerstag.
Dies teilte mir die Schwester
so nebenbei auf dem Flur mit und ich ging zu Gerd
mit den Worten: „Gute Nachrichten, mein Schatz, -
wir können uns morgen noch einen schönen Tag
machen!“
Und es zeigte sich mal wieder
die unverwechselbare positive Lebenseinstellung
meines Herzensgatten, der nach einem kurzen Moment
der Enttäuschung schnell umschalten konnte und mit
mir Pläne machte, was wir denn am nächsten Tag
alles anstellen könnten.
Wobei ich natürlich erwähnen
muss, dass viel anderes als die unterschiedlichen
Fernsehprogramme ja nun nicht zur Verfügung stand,
um auszuwählen. Denn der Arzt hatte extra darauf
hingewiesen, dass Gerd möglichst auf der Station
bleiben soll, da bei dem Zustand seines Herzens die
Gefahr eines Infarkts immer gegeben war, zumal ja
das Blut inzwischen nicht mehr durch Macumar verdünnt
war, sondern auf einem bestimmten Level gehalten
werden musste.
Aber ich konnte ihn dann
wenigstens mal in den Rollstuhl setzen und durch die
Gegend schieben, so dass er wenigstens den wirklich
schönen Innenhof zu sehen bekam.
Der
OP Tag
Der Arzt sowie auch die
Schwester auf der Station hatten mir freundlichst
angeboten, dass ich selbstverständlich auch am
Morgen der Operation zu meinem Herzensgatten ins
Zimmer könne, um noch die letzten Stunden Händchen
zu halten.
Um kurz nach halb acht war ich
bei ihm. Und zum ersten Mal kam ich ins Zimmer, ohne
dass er mich fröhlich anstrahlte. Er schlief noch.
Ich merkte sofort, dass da noch Tabletten wirken
mussten, denn er rührte sich überhaupt nicht. So
konnte ich mich erstmal nur ans Bett setzen und
warten.
Es dauerte noch eine halbe Stunde ungefähr, bis er
die Augen öffnen konnte und es dauerte noch eine
Weile, bis er mir erzählte, dass er eine schlimme
Nacht hinter sich hatte.
Gegen drei war er wach geworden, voller Schmerzen in
der Brust, voller Angst und Sorge, so dass er die
Nachtschwester rief und sie ihm noch eine starke
Schlaftablette gab. Deshalb auch jetzt diese totale
Benommenheit.
Aber nun ging es ihm besser und
wir haben 2 nette Stunden miteinander verbracht,
haben uns über wahnsinnig wichtige Dinge
unterhalten, an die ich mich schon wenige Stunden später
nicht mehr erinnern kann…… und haben beide
versucht, nicht daran zu denken, was da jetzt auf
ihn zukommt.
In der Zeit kam ein anderer
Frischoperierter auf das Zimmer. Er hatte vor 2
Tagen eine Herzklappenoperation gehabt und kam nun
frisch aus dem Aufwachraum.
Es ging ihm überhaupt nicht gut. Er stöhnte vor Rückenschmerzen
und hatte größte Schwierigkeiten, weil er abhusten
wollte und nicht konnte.
Ich flüsterte Gerd zu, dass
ich es ja nun nicht so schön fand, so kurz vor der
eigenen OP noch mal vorgeführt zu bekommen, wie es
denn hinterher so sein könnte. Doch Gerd beruhigte
mich in seiner realistischen Art: „Wieso? – Der
lebt doch!!!!“
Noch mal duschen, - um viertel
vor zehn noch eine Tablette und dann warten aufs
Einschlafen.
Um viertel vor elf kamen die Schwestern, die ihn in
den OP bringen wollten. Sie wunderten sich, dass er
noch nicht schlief. Gerds Reaktion, mit bleischwerer
Zunge: „Ja, wenn Sie mir eine Ration für ein
Meerschweinchen geben, dann wird das auch nix.“
Das
Warten
Nun hatte ich also Stunden
Zeit. Andere Frauen hatten mir schon Tipps gegeben,
was man alles in der langen Zeit machen könne.
Schwimmen gehen, Sauna, Wanderungen, die Stadt
ansehen und… und…und…
Ich traute mich aber nicht aus
dem Bannkreis der Klinik heraus und setzte mich in
das Café an der Klinik, bestellte einen Kaffee nach
dem anderen, rauchte ungezählte Zigaretten und
versuchte mich abzulenken, indem ich begann, diese
Impressionen hier aufzuschreiben.
Gegen 14 Uhr ging ich auf mein
Zimmer, weil ich so langsam nicht mehr in diesen
unbequemen Stühlen dort sitzen konnte.
Die rote Frau war zwischendurch
natürlich auch wieder aufgetaucht. Aber diesmal, so
gar nicht bereit, mir wieder alles anzuhören,
senkte ich den Blick beharrlich auf meinen Laptop
und sie hatte schnell verstanden. Nur ein paar Sätze
über ihren Umzug in die Reha- Klinik und schon ließ
sie mich in Ruhe.
Auf meinem Zimmer schaltete ich
den Fernseher ein. Dann ist man nicht so alleine im
Raum….
Um viertel nach drei endlich
rief der Chefarzt mich an. Es wäre alles gut
verlaufen, Momentan würde noch der Brustkorb zugenäht.
Keine besonderen Vorkommnisse. Er müsse jetzt von
dem Beatmungsgerät abtrainiert werden.
Mehr Information konnte ich zu
dem Zeitpunkt wohl auch nicht erwarten. Ich könne
aber abends noch mal anrufen und nachfragen, wie es
ihm geht.
Immer noch ein ungutes Gefühl, denn inzwischen
hatte ich ja schon einige Horrorgeschichten
gesammelt, was trotzdem noch so alles schief gehen
kann.
Der Frühstücksraum mit seinem
ständig wechselnden Szenario ist ein besonders
geeigneter Ort, um über alle Eventualitäten
aufgeklärt zu werden.
Da gab es den Patienten, der am Tag nach der OP
einen Schlaganfall bekommen hatte und nun schon seit
4 Wochen im Koma auf der Intensivstation lag. Oder
denjenigen, bei dem schon alles ganz gut im
Heilungsprozess war, aber dann plötzlich einen
Umschwung erlebte und nun klafft über den halben
Brustkorb eine 10 cm breite, offene Wunde. usw.
usw.
Wieso müssen die Frauen dieser Patienten eigentlich
immer ausgerechnet an meinem Frühstückstisch
sitzen? Blinkt
da wieder der Schriftzug auf meiner Stirn?
Um diesen Phantasien zu
entfliehen zog ich also mit griffbereitem Handy
Richtung Bad Neustadt.
Ich wollte ein Internet Café
suchen. Inzwischen hatte ich zwar entdeckt, dass es
auch in der Klinik ein Terminal für Patienten und
Besucher gibt, aber daran konnte man nur stehen, -
und überhaupt gab es da weder Kaffee noch
Aschenbecher.
Doch Bad Neustadt ist da in
keiner Weise moderner. Laut Auskunft in der
Information gibt es im ganzen Ort nur im Café
Wiener die Möglichkeit ins Internet zu gehen. Auch
nur an einem einzelnen Terminal, aber immerhin schon
mal mit einem Stehstuhl, - und die anderen
Annehmlichkeiten waren auch griffbereit.
So konnte ich dort dann in
aller Ruhe meine E-Mails abfragen und beantworten,
und mich danach mit eigenem Laptop niederlassen und
schreiben.
Da wirkte ich doch gleich
wieder wie die coole Frau von Welt, die geschäftsmäßig
online ist und per Thinkpad mit der Welt
kommuniziert.
Doch
irgendwie bekam mein Status in dem Lokal dann doch
einen Dämpfer, als ich vor lauter Gedankenwirrwarr
im Kopf das Wichtigste vergaß und einfach so den
Raum verlassen wollte. „Hallo! Sie haben noch
nicht gezahlt!!!“ – Jesses, wie peinlich.…
Gegen neun Uhr abends rief ich
dann wieder auf der Intensivstation an und bekam die
Nachricht, dass Gerd zwischendurch schon mal wach
war, und dass es ihm den Umständen entsprechend gut
ginge. Göttin
sei Dank !
Auch wenn ja nun das Akuteste
überstanden war, schwebten mir noch genügend
Horrorgeschichten und eigene Phantasien durch den
Kopf, um mir die Nacht schwierig zu gestalten.
Ich weiß nicht genau, wie
viel, bzw. wie wenig in der Nacht wirklich
geschlafen habe, aber während der ganzen Stunden
lief der Fernseher, weil ich es einfach nicht fertig
brachte, ihn auszuschalten. Es ist so still im Raum,
wenn der plötzlich dunkel ist.
Um kurz nach 5 Uhr morgens war ich dann endgültig
soweit, dass ich nicht länger hier rum liegen
wollte. Also anziehen und raus in den erwachenden
Morgen. Raus aus dem Gästehaus, raus aus dem
Klinikgelände, rein in den Wald, der das ganze
Territorium umgibt, - und erstmal frische, grüne
Luft in die Lungen.
Der
Anruf
Eine große Lichtung, -
mittendrin eine Bank, - ich setzte mich und wollte
von diesem schönen Platz aus auf der
Intensivstation anrufen, um zu erfahren, wie es
meinem Herzensgatten geht.
Wie hatte er
wohl die Nacht überstanden?
Was würde mir nun wohl mitgeteilt?
Es war kurz nach 6 Uhr morgens und ich wollte
nicht mehr länger warten.
„Guten morgen, ich würde gerne wissen, wie mein
Mann Gerhard Nickel denn die Nacht überstanden
hat.“-
„Ja,“ sagt mir eine männliche Stimme, „die
Nacht ist ohne besondere Vorkommnisse verlaufen.“
–
„Und wie geht es ihm jetzt?“ – „Da sollten
Sie doch am besten mit ihm selber telefonieren.“
– Will der
mich auf den Arm nehmen??? „Und wie soll das
gehen?“ – „Na ja,“ – und ich höre sein
Grinsen in der Stimme, - „indem ich ihm nun den Hörer
gebe.“
Wie bitte?
Ich bin völlig überrascht. Kann
er denn wirklich schon sprechen und den Hörer
halten ??????
Und im nächsten Moment höre
ich ein fast unverständlich geröcheltes: „Hallo.
Mir geht es gut.“ – Das war dann so ungefähr
der gleiche Moment, in dem mir die Tränen in die
Augen schossen und ich so unendlich erleichtert war,
dass ich kaum weiter sprechen konnte.
Er konnte mir berichten, dass
der Schlauch aus der Nase schon raus war, und gerade
das, nämlich das Absetzen der künstlichen
Beatmung, hatte man uns vorher als so risikoreich
beschrieben, speziell bei Gerds Konstitution.
Als ich später gegen 11 Uhr noch einmal auf der
Intensivstation anrief, war er schon auf die
Wachstation verlegt, was für mich bedeutete, dass
ich sofort zu ihm konnte. Endlich!
Bachblüten
Schon vor 14 Tagen, als Gerd in
Herten im Krankenhaus war und dort die Herzkatheder-
Untersuchung hatte, überraschte mich abends nach
langer Zeit mal wieder ein regelrechter Panikanfall,
bei den Überlegungen, wie es denn wohl weitergehen
soll, - was ist, wenn dem Gerd was passiert, - wenn
er nicht wiederkommt, -
wenn… wenn…. wenn….
Dabei hatte ich dann das Gefühl,
dass mein Herz schneller schlägt, mein Blutdruck
steigt und ich selber wahrscheinlich grade kurz vorm
Infarkt oder so was stehe….
Da multipliziert sich die Angst
mit sich selber und ich hatte ganz schön daran zu
knacken, mich von diesem Level wieder runterzuholen.
Schon an dem Abend hatte ich
das Gefühl, dass es gut wäre, für solche Fälle
mal wieder irgendwas an Tropfen oder Tabletten
dagegen im Hause zu haben. Ich vergaß es aber dann
wieder.
Erst auf der Fahrt, alleine im
Auto, Richtung Bad Neustadt, brachte mir nur schon
der Gedanke, dass ich da bald abends alleine auf
meinem Zimmer sitzen würde und auf Nachricht warten
müsse, die Angst zurück. Angst vor der Angst
sozusagen.
Aber ich wusste, dass ich
unbedingt dagegen vorbeugen musste, und erinnerte
mich an die Notfalltropfen der Bachblüten.
Die hatte ich vor Jahren schon mal eingenommen und
ich erinnerte mich, dass die mir in entscheidenden
Momenten auch geholfen hatten.
Hinter Fulda, in Bad Gersfeld,
entdeckte ich an der Hauptkreuzung eine große
Apotheke.
Die hatten auch vorrätig, was ich brauchte.
„Reichen 10 ml oder gleich 20
ml. ???“ -
Natürlich gleich die größere! Man weiß ja nie,
was da noch so auf mich zukommt.
Bis
jetzt habe ich nicht mal 3 ml verbraucht, weil man
ja wirklich nur 4-6 Tropfen nehmen muss. Und selbst
wenn ich die in den letzten Tagen 5x am Tag genommen
habe, dann ist das in dem Fläschchen natürlich nur
ein ganz kleines bisschen…
Sobald ich merkte, dass mich
dieses verflixte Gefühl wieder heimsuchte, habe ich
mir diese Tropfen gegeben und dann das Gefühl
gehabt, gegen alle Panik abgeschottet zu sein. Ob es
wirklich die Tropfen selber sind, die da wirken,
oder nur einfach der Glaube daran ????
Ich weiß es nicht und eigentlich ist es mir auch völlig
egal. Wenn nur diese Panik ausbleibt, dann ist es ja
gut.
Die
Wachstation
Sechs Mann in einem Raum.
Gerd – der zweite von links.
Jesses, was bin ich froh, ihn
hier so liegen zu sehen. Er strahlt zwar noch nicht
ganz so wie gewohnt, aber er freut sich sichtlich,
dass ich komme.
So viel Armaturen rund um das
Bett, - ich muss mir erstmal einen Weg bahnen, um
ihm näher zu sein. – Kann ihn nicht mal auf den
Mund küssen, weil das Bett zu hoch und zu viel Schläuche
im Weg sind.
Er sieht so verletzt und krank aus, - die Stimme ist
ganz rau und das Sprechen geht noch nicht so gut.
Aber die Augen sind klar und wir sind heilfroh, dass
er die OP und die erste Nacht hier überstanden hat.
In den anderen Betten Männer,
die auch am Vortag die OP hatten und die teilweise
ziemlich verwirrt sind.
Einer meint, er wäre in Italien in Urlaub und ein
anderer will sofort zum Geburtstag eines Freundes.
Immer wieder versucht er sich aufzusetzen und will
sich von den Schläuchen befreien. Und immer wieder
muss er vom Pfleger zurückgelegt werden, damit ihm
nichts passiert.
Gerd bekommt einen Brei zu
essen. Der Pfleger Thomas stellt ihm das Schüsselchen
vor ihn auf den Nachttisch. Und ich füttere meinen
Herzensgatten.
„Aber das kann er doch schon alleine!“ meint
Thomas.
Das mag ja sein, aber ich bin doch heilfroh, dass
ich hier was für ihn tun kann und es besteht
sicherlich keine Gefahr, dass ich ihn damit zur
Unselbstständigkeit erziehe und er ab jetzt nur
noch gefüttert werden möchte.
Eine Stunde bleibe ich bei ihm,
immer wieder die heiße Stirn kühlend, - er hat ein
wenig Fieber, - und verspreche ihm, in der
Nachmittags- Besuchzeit wiederzukommen.
Und dann passiert mir das Unglaubliche: Ich
verschlafe die Zeit!
Wieder in meinem Zimmer hatte
ich mich nur kurz aufs Bett legen wollen. Doch da
die Nacht vorher auch für mich nicht mit erholsamem
Schlaf gesegnet war, bin ich fest eingeschlafen.
Ich beeile mich und stehe vor der geschlossenen
Wachstation. Keiner macht auf.
Also wieder raus aus dem Gebäude und von draußen
über Handy auf der Station angerufen.
Nachdem ich mein Problem erklärt
habe, ist es dann kein Problem mehr.
Und wieder kann ich über eine Stunde bei ihm
sitzen, ihn mit Tee versorgen und ihm immer wieder
die Stirn kühlen.
Ein Mann im Bett gegenüber
versucht wieder, aufzustehen und lässt sich nun
auch von dem Pfleger nicht mehr beruhigen. Er meint,
dass er unbedingt zur Toilette gehen muss.
Der Pfleger weiß sich nicht anders zu helfen, als
ihn am Bett festzuschnallen.
Wir sind beide ziemlich
betroffen und Gerd meint: „Vorhin war seine Frau
noch da und hat sich so gefreut, dass er die OP gut
überstanden hat. – Wenn die wüsste, dass er sich
jetzt so quälen muss...“
Doch Gerd geht es immer ein klein wenig besser. Und
wir haben die Hoffnung, dass er schon am nächsten
Tag wieder auf sein normales Zimmer kommt.
Tag
3 nach der OP
Noch beim Frühstück werde ich
von einer anderen Frau mitleidig angelächelt, weil
ich geäußert habe, dass Gerd doch vielleicht schon
heute Vormittag auf die normale Station kommen könnte,
- und dann um 10 Uhr (eine Stunde vor der regulären
Besuchszeit) bekomme ich einen Anruf von einer
Schwester der Wachstation, dass ich doch schon mal
kommen solle, mein Mann möchte mich gerne sehen und
er würde auch gleich schon auf die normale Station
verlegt.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich mich
mit Laptop im Café eingerichtet und wollte gerade
meinen Milchkaffee bestellen, - aber der kann
warten. Einpacken und sofort zur Wachstation.
Gerd schien genervt von der
unangenehmen Nacht, die er hinter sich hatte. „Die
haben mich schon um halb drei geweckt !!!!“
Ein Vorwurf, den er mir in den nächsten
Tagen immer wieder erzählte. Da er ansonsten ein
geduldiger und nicht so leicht aus der Fassung zu
bringender Patient ist, muss ihn das schon sehr
mitgenommen haben.
Die ganze Nacht muss wohl sehr
unruhig gewesen sein und ich konnte ihn nur damit trösten,
dass er ja schließlich auf der Wachstation ist und
nicht auf der Schlafstation…..
Eine Schwester versorgt einen
Kranken im Nachbarbett. Gerd hört sie und es ist
ihm ganz wichtig, mir zu sagen: „Das ist aber auch
eine ganz liebe…. die ist total lieb…. die sind
alle hier ganz lieb…“
Irgendwie ist er zwischendurch noch ganz weit weg.
Schon bald kam die Schwester
und brachte das normale Bett mit.
Er musste aufstehen und selber die paar Schritte zu
seinem neuen Lager gehen.
Und dann endlich wieder unsere Einzelsuite !!!
Meine
Organisationsprobleme
Gerd verpasste nun in dieser
Zeit seiner Krankheit ja nicht nur das Herrichten, Säubern
und Bepflanzen unserer Terrasse, sondern auch noch 2
lang geplante Familienfeiern. In der Woche nach der
OP stand eine Kommunion an und am Sonntag nun ein
Fest, das mir besonders am Herzen lag. Meine
Schwester wurde 50. Und da mein Schwager erst vor
kurzem auch denselben runden Geburtstag hatte,
wollten die beiden nun groß ihren 100. Geburtstag
feiern.
Wäre die OP am Dienstag
gewesen, so hätte es ja gerade noch passen können,
dass ich Samstagabend nach Hause fahren würde, aber
nun die OP erst am Donnerstag, - also da waren doch
gerade der Samstag und Sonntag die Tage, in der Gerd
am ehesten meine Hilfe brauchte.
So blieb ich dann in Bad
Neustadt und kümmerte mich lieber um meinen
Herzensgatten, denn dieser Ausdruck, den ich so
gerne wähle, wenn ich von ihm spreche, ist ja nicht
nur wegen des witzigen Klangs so gewählt. Schließlich
ist er es, der meinem Herzen am meisten verbunden
ist.
Aber so ging es die ganze Woche
erstmal in meinem Kopf hin und her, wie ich das denn
bloß am besten einrichten könnte. Und fast stündlich
fasste ich neue Entschlüsse. Schließlich musste
ich ja auch im Hinterkopf behalten, dass ich auch
mal wieder in die Werkkiste müsste, um dort meinen
Aufgaben nachzugehen. Glücklicherweise hatten mir
aber meine Kolleginnen alle Freiräume gelassen, zu
entscheiden, wie lange ich Urlaub brauchte. Sie
gaben mir vollständig die Sicherheit, dass sie mir
in dieser Situation den Rücken frei halten.
Meine anderen Sorgen gingen
noch zusätzlich in die Richtung, wie es Gillian
wohl gehen würde, - so ganz alleine zu Hause und
mit ihrer eigenen Angst um ihren geliebten Papa.
Meine dunklen Phantasien
gaukelten mir die bösesten Geschichten vor: Wie
sollte es ihr gehen, wenn ich ihr am Abend der OP hätte
sagen müssen, wenn es ihm vielleicht doch nicht so
ganz besonders gut gehen würde, - von Schlimmerem
mal ganz zu schweigen.
Aber auch hier hatte sich eine
wunderbare Möglichkeit gefunden. Eine Freundin der
Familie bot sich an, jeden Abend von Neuss zu uns zu
kommen, damit Gil wenigstens die Abende nicht so
alleine in der Wohnung verbringen musste.
Helia meinte zwar später, dass sie doch sicher
keine große Hilfe gewesen sein könne, da sie doch
immer abends so früh eingeschlafen wäre und Gil
sie auch noch wecken musste, und sie hätte doch nur
mal wieder bei uns den Kühlschrank leer gemacht, -
aber welch ein Trugschluss!
Gillian hat sich viel sicherer gefühlt mit ihrer
lieben Gesellschaft im Haus und ich war beruhigt,
weil ich Gil in bester Obhut wusste.
Der
Besuch
Bei meinen vielfältigen Überlegungen
kam ich dann irgendwann auch darauf, dass es doch für
Gerd eine wunderschöne Freude sein würde, wenn er
seine Tochter zu Besuch hätte. Und schon bastelte
ich an dem Plan.
Gillian müsste sich den Montag in der Schule frei
nehmen, (kein Problem!) - könnte am Sonntag zuerst
noch bei der großen Familienfeier dabei sein und
nachmittags dann mit dem Zug nach Bad Neustadt
kommen. Am Montag würden wir dann beide zusammen
wieder mit dem Auto zurück fahren.
Gillian war sofort Feuer und Flamme, ich suchte aus
dem Internet die richtige Verbindung heraus, Gil
besorgte die Fahrkarten und wir freuten uns beide
darauf, uns endlich wieder zu sehen und dem Dritten
im Bunde diese Überraschung bereiten zu können.
Wobei mir aber dann auch schnell klar wurde, dass
man einen Herzkranken besser vielleicht nicht mit so
was überrumpeln sollte….
Große Freude – und dann Intensivstation…..
nein, das wollten wir dann doch nicht.
Also erzählte ich ihm davon,
was wir vorhatten. So konnte er sich wenigstens auch
schon die ganze Zeit darauf freuen.
Abends um 22 Uhr sollte ihr Zug in Bad Neustadt
ankommen.
Gegen 21 Uhr rief ich sie per Handy an und erfuhr,
dass der erste Zug dermaßen Verspätung gehabt
hatte, so dass sie den Anschluss in Würzburg
verpasst hätte. Nun käme sie gegen 22 Uhr in
Schweinfurt an und müsste dann bis kurz vor 11 auf
einen Bus warten, der sie nach Bad Neustadt bringen
könne.
Aber da Schweinfurt nur ca. 40
km entfernt lag, setzte ich mich ins Auto und holte
sie dort ab.
So konnte ich ihr dann das wunderschön erleuchtete
Klinikgebäude in Nachtstimmung zeigen und sie
bezweifelte auch, ob es sich hier um eine Klinik,
oder nicht vielleicht doch um ein Erholungszentrum
handelte.
Montag
Gil und ich räumten morgens
zuerst unsere Zimmer und gingen kurz zum Frühstück,
bevor wir dann endlich bei Gerd im Zimmer standen.
Familie wieder komplett. – Göttin sei Dank !
Gerade in der letzten Zeit hatten wir wieder
gemeinsam festgestellt, dass wir eine starke Einheit
waren. Dieses Gefühl von Verbundenheit war mit
einem Mal wieder ganz präsent Und das bezieht sich
eben doch nicht nur auf die sinnvolle Verteilung der
Hausarbeit.
Das Wetter war wunderschön, so
dass wir auch eine ganze Weile auf der Terrasse
sitzen konnten.
Scheinbar war Gerds Wahrnehmung noch etwas getrübt.
„Gehören die gelben Dächer dahinten auch noch
zur Klinik?“ – „Aber das sind doch
Rapsfelder!“ – „Ja, wirklich… - ach so !“
- Und nach 10 Minuten: „Sind das nicht
vielleicht doch Dächer????“
Farina
Unsere kleine Hündin litt
unter dieser seltsamen Situation wohl ganz
besonders. Schließlich konnte man ihr ja auch so
gar nichts erklären.
Gerd ist nun mal ihre engste Bezugsperson. Der
Hundepsychologe würde sagen, dass er ihr höchsteigener
Besitz ist und so konnte sie nun überhaupt nicht
einordnen, wo ihr Gerd abgeblieben war, - wieso er
denn gar nicht wiederkommt.
Sie stellte vom ersten Tag an
das normale Fressen ein und wurde nur noch mit
Leckerlis ernährt, weil es das einzige war, zu dem
sie sich überreden ließ.
Im Laufe der Zeit zeigte sie auch seltsame
Verhaltens- Änderungen: Sie begann den kleinen
Teppich vor Gerds Bett auseinander zu rupfen, sie
benahm sich immer wilder und zwischendurch verkroch
sie sich in einem Körbchen und knurrte uns sogar
an, wenn wir sie daraus hervor locken wollten.
Sie litt.
Unsere
Heimfahrt
Montag, am späten Nachmittag
verließen Gillian und ich das Klinikgelände, um
wieder nach Hause zu fahren.
Unsere Freundin Helia, die sich
in der Woche vorher so liebevoll um Gillian gekümmert
hatte, war nun seit Freitag wieder bei sich zu Hause
und hatte von unserer kurzfristigen Planung mit
Gillians Neustadt- Besuch gar nichts mitbekommen. Am
Montag rief sie nun vormittags bei uns an, um
nachzufragen, wie es so geht. Gil war natürlich
nicht zu Hause und ausgerechnet in diesem Moment war
ein Freund von uns in der Wohnung, weil er sich
angeboten hatte, Farina mal Gassi zu führen. So
meldete er sich am Telefon und gab Auskunft, dass
Gillian gestern mit dem Zug nach Neustadt gefahren wäre.
Nein, wie es dem Gerd ginge, das wüsste er nicht so
genau und warum Gil dahin gefahren wäre, nein, das
wüsste er auch nicht so wirklich….
Und wir waren natürlich auch nicht über Handy zu
erreichen, das wir in der Klinik natürlich
ausgeschaltet hatten.
Sorry, Helia, für diesen Schreck, den wir
Dir da verursacht haben !
Die
letzten Tage in Neustadt
Gerd musste noch eine Woche
alleine dort verbringen, aber mit jedem Tag ging es
ihm ein klein wenig besser, und in den letzten Tagen
konnte er endlich auch ein wenig genießen, was
dieser Gebäudekomplex ihm zu bieten hatte.
Zum Beispiel dieser große
Ruheraum, in dem er sich in einem der zahlreichen
Ledersessel niederlassen konnte, und dort die Vögelchen
in den schön gestalteten Volieren beobachten
konnte. Diese Klinik bot einfach insgesamt eine
Atmosphäre, in der man sich wohl fühlen
und die man auch genießen konnte.
Gerd hätte nun die Möglichkeit
gehabt, auch dort seinen Reha- Aufenthalt in diesem
Komplex zu absolvieren, aber das wollte er nun so
gar nicht. Er wollte nach Hause und wenn das nicht möglich
war, dann aber wenigstens so nah nach Hause, so dass
er auch mal Besuch bekommen könne. Also war die nächste
Station wieder die Klinik in Herten.
Herten
Montags war er wieder da. –
Noch nicht so ganz zu Hause, aber doch wenigstens
wieder in besuchbarer Nähe.
Am Abend fuhren Gil und ich
dorthin und schon vom Klinikhof sahen wir ihn oben
am Fenster stehen, wo er uns winkend erwartete.
4. Etage, - rauf mit dem Aufzug, - und ab in sein
Zimmer. Schon als er uns nicht oben am Aufzug
erwartete, schwante uns, dass er wohl mit einem der
anderen Aufzüge an uns vorbei nach unten gefahren
sein musste.
Kein Gerd auf dem Zimmer, - tatsächlich, -
er wollte uns entgegenkommen und wir hatten
uns verfehlt.
Erst als wir zurück zum Aufzug kamen, konnten wir
uns endlich in die Arme nehmen, da ihm unten dann
auch das Missverständnis aufgefallen war….
Und da stand er nun vor mir… dieser große starke
Mann… und wirkte so durchscheinend, - so
angegriffen, - so verletzlich… - Die Umarmung, nur
ganz zart und vorsichtig, - nur nicht zu feste drücken,
- aufpassen, da sind überall Narben, - am Arm, am
Bein, auf der Brust und auf der Seele….
Mein
Geburtstag
Mittwoch hatte ich Geburtstag
und mein schönstes Geschenk saß vor mir.
Vorher
hatte ich schon gewitzelt: „Denk bloß nicht, nur
weil Du krank bist, bräuchtest Du mir kein
ordentliches Geschenk zu machen. Ich erwarte, dass
Du mir was richtig Schönes aussuchst!“ – Und
tatsächlich bekam ich zwei Taschenbücher, die er
eigenhändig in der Krankenhausbücherei erstanden
hatte.
Geburtstagsfeier in der
Krankenhauskantine. So wie schon vor drei Wochen auf
Muttertag genossen wir wieder hier in dieser etwas
seltsamen Umgebung, dass wir zusammen waren und aßen
den Krankenhaus- Kuchen mit einer Freude, als wären
wir bei Café Kranzler in Berlin. Wir überlegten
schon, ob wir nicht ab sofort alle Familienfeiern
hier im Hertener Krankenhaus verleben wollten. Man
gewöhnt sich ja langsam dran….
So war es auch gar kein Problem mehr, dass wir am nächsten
Tag auf Gerds Zimmer mit Buttermilch auf unseren
Hochzeitstag anstießen… 26 Jahre, - ein Grund zum
Feiern.
Reha
Nach eineinhalb Wochen wurde er
in Herten entlassen und kam nach Hause.
Er hatte so gehofft, er könne die anschließende
Reha- Maßnahme ambulant in der gleichen Klinik
machen, aber leider war das kein Vertragskrankenhaus
der LVA, so dass das leider nicht möglich war. Gerd
war völlig geknickt, - er wollte nicht wieder von
zu Hause weg.
Fünf Tage hat man ihm in
seinem eigenen Bett gegönnt, dann ging es wieder
los nach Ennepe. Die Klinik ist nicht besonders schön,
aber wenigstens nicht ganz so weit von zu Hause weg.
Sein Freund Dieter brachte ihn mittwochs morgens
dorthin. Ich selber hätte eigentlich arbeiten müssen,
aber ausgerechnet an dem Tag lag ich mit Fieber zu
Hause und war völlig aus dem Verkehr gezogen.
Schon am selben Abend sagte er mir am Telefon, dass
es ihm nicht so gut gefallen würde, aber als ich
ihn am Donnerstag hörte, war ich völlig
beunruhigt. Das Heimweh fraß ihn fast auf und er
konnte sich kaum vorstellen, wie er das noch so
lange Zeit dort aushalten solle.
Er klang so verzweifelt, dass ich am liebsten sofort
zu ihm gefahren wäre, - nur die Gewissheit, dass
ihn sein Freund noch am selben Abend besuchen würde,
hielt mich davon ab, mich doch noch mit Fieber ans
Steuer zu setzen.
Zum Wochenende fasste er dann den Entschluss, dass
er unbedingt sein Auto dort haben wollte, damit er
nicht ganz so eingeschlossen dort wäre.
Also holte ich ihn am Sonntag nach Hause und
nachmittags fuhr er mit seinem Wagen wieder zurück.
Nicht ohne seine Angel samt Zubehör
eingepackt zu haben, so dass er in der nächsten
Woche auch mal mit seinem Freund gemeinsam die
Forellen zu erschrecken.
Ab nun ging es ihm besser und
er konnte sich endlich mit seiner Situation
abfinden.
Mit Massagen, Hocker- Gruppe, Ernährungsberatung,
Kochkursen und diversen Untersuchungen verging die
Zeit zwar nicht wie im Fluge, aber es war erträglich.
Und am Wochenende kam er zu uns nach Hause und
genoss es, seine Vögelchen zu versorgen, das Pferd
zu besuchen und seine Schafe zu beobachten.
Nach 3 Wochen wurde die stationäre
Reha in eine ambulante umgewandelt, so dass er auch
die Abende wieder bei mir war.
„Endlich
muss ich nicht mehr zurück in diese JVA !“
Endlich ist er wieder da!
Endlich gibt es wieder geregeltes und liebevoll
zubereitetes Essen und nicht nur Tütensuppen und
Lasagne von Aldi oder unsere besondere Spezialität:
Erbsen mit Kartoffelpü.
Endlich kann ich wieder nach Hause kommen und mich
auf ein sonniges Gesicht freuen, das mich anstrahlt
und mir sagt: „Wie schön, dass Du da bist!“
Und endlich wird der Müll
wieder richtig sortiert !
|